
Haben Sie auch schon mal das Gefühl gehabt, alles wiederholt sich? Glauben Sie dahinter steckt ein Muster? Sieben internationale Künstler:innen beschäftigen sich in der aktuellen Ausstellung des Hartware MedienKunstVereins (HMKV) mit den Choreografien, Rhythmen und Algorithmen, die unser Leben prägen. Bei der Sparda-Nacht am 23. Mai 2025 gibt es Speed-Dates mit den Kunstwerken.
„Wir sind in technologischen Systemen gefangen.“
Holding Pattern (deutsch: Warteschleife) ist der Titel der aktuellen Ausstellung des Hartware MedienKunstVereins (HMKV) im Dortmunder U. Er bezieht sich auf ein Flugmanöver in der Luftfahrt, das zum Ziel hat, mehrere Flugzeuge gleichzeitig in der Luft zu halten. Das Manöver folgt einem festen Muster und hat das Ziel, ein zu hohes Verkehrsaufkommen zu regulieren.

Für Tom McCarthy ein perfektes Bild des modernen Lebens: „Menschen werden in Mustern festgehalten. Das Leben spielt sich in Systemen ab.“ McCarthy ist eigentlich Schriftsteller (Remainder, 2005), hat die Ausstellung mit Anne Hilde Neset ursprünglich für das Museum Oslo konzipiert und sie nun gemeinsam mit HMKV-Direktorin Inke Arns noch einmal für Dortmund umgesetzt.
In McCarthys Büchern befinden sich die Figuren häufig in Schwebezuständen, in Schleifen oder Loops – stets bemüht auszubrechen. „Nehmen Sie das Fließband“, so McCarthy beim Rundgang durch die Ausstellung, „es steuert unsere Bewegung. Wir sind in technologischen Systemen gefangen.“
Ungewöhnliches Vermittlungsformat: Speed-Dates mit der Kunst
Seit Mitte März lässt sich die Ausstellung auf der 3. Etage des Dortmunder U bereits erkunden. Der HMKV hat sich dafür in eine schwarze Höhle verwandelt, eine Art Mini-Labyrinth. Rechts rum? Links? Es geht vor und wieder zurück. Folgen wir hier auch einem Muster?
Wer bisher nicht da war – und natürlich auch jede:r andere – kann diesen eigenwilligen Ausstellungsparcours am 23. Mai während einer Party-Nacht erkunden. Gefördert durch die Sparda-Stiftung erproben die Kunstvermittler:innen des HMKV dann ein ungewöhnliches Vermittlungsformat: Speed-Dates mit den Kunstwerken. Ganz ohne Vorwissen und im direkten Austausch mit dem Info-Team können Besucher:innen die Werke und Themen kennenlernen – und wie bei einem echten Date sind Neugier und Offenheit gefragt.___STEADY_PAYWALL___
Aus der Luft in den Untergrund und wieder auf den Dancefloor
Ein erstes Date könnte die Begegnung mit der Arbeit der britischen Künstlerin Susan Philipsz sein. Sie bildet eine Art Intro zur Ausstellung. Drehort für ihr Video war der alte Berliner Flughafen Tegel und wir sehen die Künstlerin in einem kleinen Privatjet über den stillgelegten Flughafen fliegen.

Philipsz hört „Music for Airports“ von Brian Eno – sie summt mit, wir hören den Sound aus den Wolken im Raum. Sie ist „on air“ (auf Sendung) und in der Luft (in the air) – und „Air“ kann übrigens in Englisch auch die Bezeichnung für ein Lied sein.
Oder wie wäre es mit Elizabeth Price? Sie gewann 2012 für ihre Videokunst den Turner-Preis und ist in der Ausstellung gleich mit mehreren Arbeiten vertreten – einer großen Installation und sechs Videos, die als Fußnoten zu verstehen sind. Die Arbeit ist komplex, verwirrend. Es geht um den britischen Bergbau, Datenspeicherung, aber auch Tanzkultur. 17 Minuten Bild- und Soundgewalt – Kurator McCarthy sieht hier auch eine Verbindung zu den Bergwerken des Ruhrgebiets. Die Flöze – sind sie nicht auch unterirdische Pfade, die sich miteinander zum Netzwerk verweben?
Die Grenzen zwischen Sinn und Unsinn sind fließend.
Auch Bedeutungen und Interpretationen bleiben in der Ausstellung gern mal in der Schwebe, machen einen Loop und führen hier und da ins Kuriose. Ganz wie im richtigen Leben.

Irgendwann steht man dann vielleicht beim Date auch vor einer Vitrine und schaut in ein kleines Heft. Einige Seiten ausschließlich gefüllt mit dem Buchstaben „ä“. Er entstammt dem Kommando „igevär“ (dt.: Präsentiert das Gewehr) und der Däne Åke Hodell hat das Militärkommando in Wortkunst verwandelt.
Der Dichter, im zweiten Weltkrieg selbst Kampfpilot und schwer verletzt, lebte in den Sechzigerjahren in Stockholm nahe dem Königspalast. Der ständige Ruf „igevär“ der Soldaten bei der Wachablösung, geriet ihm zum persönlichen Loop und Fluch. Als Anarchist und Antimilitarist zerlegt er das Wort in seine Einzelteile: Die Grenzen zwischen Sinn und Unsinn sind fließend.
„Es ist ein Spiel und die Frage ist: Wer hat die Kontrolle?“
Gamer:innen lernt man vielleicht beim Rendezvous in der Videoinstallation von Stefan Panhans und Andrea Winkler kennen. Das Duo interessiert sich hier für Bewegungsmuster und das Design virtueller Räume. Ihre Arbeit basiert auf dem Videospielmodus „Freeroam“, der Spieler:innen ermöglicht, die Prinzipien eines Spiels jenseits der Handlung zu erkunden und sich in den virtuell kreierten Räumen umzusehen.

Panhans-Winkler analysieren diese Räume, stellen sie in Installationen nach und zeigen, nach welchen Mustern sie funktionieren.
„Wir sehen Menschen, die imitieren Avatare, die Menschen imitieren. Es ist ein Spiel“, erklärt Stefan Panhans, „und die Frage ist: Wer hat die Kontrolle? Die Jugendlichen, die die Fähigkeiten haben, das Spiel zu spielen? Der Designer des Spiels?“
Musikalische Schleifen zwischen Funk und Jazz erzeugen einen Sog
Kein Date ohne Musik. Große Kissen erwarten die Besucher:innen im Raum von Stan Douglas. Seine Videoarbeit führt uns in die Columbia-Studios, Kult in den Sechziger- und Siebzigerjahren. Miles Davis und Aretha Franklin haben hier ihre Musik aufgenommen. Aber diese Bilder sind nachgestellt: Musiker:innen, Groupies, Techniker und Journalisten sind Teil eines inszenierten Geschehens.

Aus 40 Minuten Material hat Douglas schließlich sechs Stunden Video gemacht. Sechs Stunden in musikalischen Schleifen zwischen Funk und Jazz – Loops, die einen Sog erzeugen, in den man sich versenken kann.
Bei der Party-Nacht bekommen diese Loops allerdings Konkurrenz: Die Musiker:innen Dagobert und LIN spielen ihre Sets direkt in der Ausstellung – zwischen den Kunstwerken und Installationen.
xx Das beste zum Schluß: Harun Farocki Filmreihe
Fußballfans komme in der Ausstellung übrigens auch auf ihre Kosten. „Deep Play“ von Harun Farocki ist eine Zwölf Kanal-Installation, die sich dem Europameisterschaftsendspiel zwischen Italien und Frankreich im Berliner Olympiastadion 2006 widmet.
Auf zwölf verschiedenen Monitoren geht Farocki den verschiedenen Analysewerkzeuge des Spiels nach. Wir sehen Spielszenen und Taktiktafeln, wir beobachten die Menschen, die das Spiel beobachten. Wir sehen computergenerierte Szenen, die Bilder der Webkameras und die der Überwachungskameras, denn auch das Geschehen außerhalb des Spiels ist Teil des Spiels.

Die Frage der Ausstellung wird hier noch einmal zugespitzt: Liegt allem ein Muster zugrunde? Und wie können wir es erkennen und vielleicht beeinflussen?
Dazu noch einmal Kurator Tom McCarthy: „Einen Teil sehen wir, nie das Ganze – deswegen können wir das Geschehen vielleicht nicht verstehen, aber genau das ermöglicht uns die Kunst. Das ist ein Kennzeichen der Moderne, aber es ist auch bereits bei Ödipus angelegt.“
Allein, der Mix der Bilder, die Schnitte, die imaginierten Linien der Pässe und Flanken – was Farocki zeigt ist doch: Nichts wird deutlicher. Oder zumindest nicht viel. Und niemand konnte vorhersehen, womit gerade dieses Spiel einmal berühmt werden sollte: der Kopfstoß des Spielers Zinédine Zidane gegen den Spieler Marco Materazzi. Eine Provokation, ein emotionaler Ausbruch, ein Regelverstoß, der Fußball-Geschichte geschrieben hat.
Wer nach den Speed-Dates Lust auf ein Wiedersehen und hat, kann den Schleifen und Mustern des Lebens im Hartware MedienKunstVerein noch bis Ende Juli nachspüren. Absolut zu empfehlen ist außerdem die Harun Farocki-Filmreihe in Kooperation mit dem SweetSixteen-Kino. Jeden Freitagabend im Juni und Juli zeigen HMKV und Harun Farocki-Institut in dem preisgekrönten Programmkino Filme und Videos aus den Jahren 1966 bis 2014. Einer ernsthaften Beziehung steht nichts im Wege.
Alle Informationen auf einen Blick:
- Sparda-Nacht und Party: Freitag, 23. Mai 2025, Uhrzeit: 20 – 23 Uhr (Einlass ab 19:30 Uhr)
- Harun Farocki Filmreihe im Sweet-Sixteen-Kino / Jeden Freitagabend im Juni & Juli 2025, 19:00 bis 21:00 Uhr
- Weitere Informationen auf der Website des HMKV
- Ausstellung noch bis 27. Juli 2025, HMKV im Dortmunder U, Ebene 3
Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!