
Hussam Abdul Rahman ist 38 und arbeitet im IT-Bereich als First- und Second-Level-Support und Berechtigungsmanager bei einem Energiekonzern in Dortmund. Gleichzeitig studiert er Wirtschaftsinformatik am Karl-Schiller-Berufskolleg. 2015 ist er mit seiner Mutter aus Syrien geflohen. Über Jordanien und die Türkei kam er nach Deutschland.
Bevor Sie fliehen mussten, was haben Sie in Syrien gemacht?
Rahman: Ich war selbstständig. Ich habe nach meinem Abitur mehrere Computerkurse abgeschlossen und hatte zwei kleine Geschäfte: Computer und Handy An- und Verkauf.
Warum sind sie dann aus Syrien geflohen?
Ich war Aktivist. Ich habe an Demos teilgenommen, obwohl das verboten war. Leider wurden dabei Fotos von uns gemacht. Dann war mein Leben und das meiner Mutter in Gefahr. Deswegen mussten wir so schnell wie möglich raus. Als wir in Deutschland ankamen, fühlten wir uns endlich wieder sicher. Wow, wir sind angekommen. Alhamdulillah – Gott sei Dank.
Können Sie beschreiben, was Sie erlebt haben, als Sie in Deutschland angekommen sind?
Am Anfang konnte ich kein Deutsch, nur ein bisschen Englisch. Aber wir konnten uns mit Händen und Füßen verständigen. Die Leute waren sehr nett und haben sich sehr bemüht, uns zu helfen. Nach ein paar Wochen habe ich dann selbst versucht, mich zu engagieren.
Ich habe zum Beispiel gedolmetscht, obwohl mein Englisch nicht das Beste war, aber trotzdem konnte ich ein bisschen helfen. Nach ungefähr einem Jahr in unterschiedlichen Städten in Süddeutschland, habe ich dann in Göhrwil in Baden-Wüttemberg mit dem A1-Sprachkurs angefangen.

Wie war es für Sie, Deutsch zu lernen?
Es war schwer, aber schön. Wenn man etwas haben will, darf man sich keine Sorgen um die Schwierigkeit machen. Ich habe immer versucht mir zu sagen, dass es schwierig ist, aber machbar. Für die Aussprache habe ich viel YouTube geguckt. Dann habe ich Bücher gekauft, und schon ein bisschen gelesen.
Im Sommer 2017 habe ich auch einen Teilzeitjob gefunden bei Edeka. Währenddessen habe ich 200 oder 300 Bewerbungen im Jahr geschrieben für eine Ausbildung als IT-Kaufmann. Es gibt viele Stellen, aber leider habe ich keine bekommen.
Gab es in der Zeit auch mal einen Moment, wo Sie dachten: „Ich schaffe das nicht“?
Nach der Absage von einem Betrieb, der mir noch kurz vorher zugesagt hatte, war ich kurz vorm Aufgeben. Ich habe so viel von diesem Job geträumt, von dieser Ausbildung. Ich habe mir gedacht: Ich fange bald an! Dann wurde ich einfach so enttäuscht. Das war hart, aber ich habe auch gelernt, dass man weitermachen muss.
Was hat Ihnen dann geholfen, dranzubleiben und nicht aufzugeben?
Mein Ziel. Ich gucke immer auf mein Ziel, wohin ich will. Ich hatte auch Freunde, die meinten: Hussam, das Leben endet nicht. Du musst weitermachen! Dann habe ich in Dortmund einen Freund besucht und die Stadt gesehen. Und die Stadt hat mir gefallen, hier ist einfach mehr los als in Görwihl. Ich wollte mich wirklich weiterbilden, nicht nur wegen der Arbeitsstelle. Ich war in der Getränkeabteilung beim Edeka und die Arbeit ist körperlich belastend.
Dann habe ich mit meiner Mutter die Entscheidung getroffen: Lass uns eine Wohnung in Dortmund suchen! Freunde haben mich bestärkt, dass ich bessere Chancen auf eine Stelle habe und in der Stadt auch einfacher Freunde finden kann.
Als ich nach Deutschland gekommen bin, brauchte ich die Hilfe von anderen und jetzt helfe ich selbst anderen.
Dann haben Sie eine Ausbildung bei der Auslandsgesellschaft angefangen. Wie kam das zustande?
Ich wollte eine Umschulung zum Fachinformatiker für Systemintegration machen. Das wäre aber teuer geworden. Dann schrieb mir ein Freund, dass die Auslandsgesellschaft einen Kaufmann für Systemmanagement sucht. Dann habe ich mir überlegt: Ja, warum nicht? Da bewerbe ich mich, aber es ist mir egal, ob sie mich nehmen, denn ich habe meinen Platz bei der Umschulung.
Und ich wurde angenommen. Bei der Umschulung musste die Agentur für Arbeit ungefähr 30.000 Euro für mich bezahlen. Bei der Ausbildungsstelle bekomme ich aber eine Vergütung und bin nicht mehr abhängig vom Jobcenter. Dann habe ich dann mich für die Auslandsgesellschaft entschieden.

Was gefällt Ihnen an dem Beruf des IT-Fachmanns?
Mir macht es Spaß, Probleme zu lösen. Ich arbeite gerne viel mit dem Kopf. Ich mag es auch, neue Ideen einzubringen. Die Arbeit macht mir wirklich Spaß und ich arbeite nicht nur nach Vorschrift, sondern innovativ.
Hand aufs Herz – Wie schwer hat es Ihnen Deutschland gemacht, aufgenommen zu werden?
Die Bürokratie in Deutschland ist sehr kompliziert. Ich war auch Koordinator des Arbeitskreises „Rat und Tat“, wo wir vom Train of Hope Dortmund e.V. den Leuten bei Amtsgängen geholfen haben. Ich habe auch schon vielen Deutschen beigebracht, wie sie mit Briefen umgehen müssen – denn Amtssprache versteht fast niemand. Das Schlimme ist, dass solche Briefe Menschen total verunsichern – das ist auch emotional sehr anstrengend, besonders für Leute, die geflüchtet sind.
Es ist schwierig zu sagen, wann ich „angekommen“ bin. Ich würde sagen, als ich mit meiner Karriere angefangen habe. Als ich den ersten Schritt gemacht habe und die Sprache gelernt habe. Die Sprache ist der Schlüssel jedes Landes.
Was würden Sie gerne richtigstellen, wenn Menschen schlecht über Geflüchtete reden?
Ich möchte gerne wirklich verstehen, warum sie das tun. Wir sind als Flüchtlinge gekommen, aber nach so vielen Jahren sind wir Mitarbeiter geworden. Wir haben unser eigenes Leben. Wenn du sehen willst, was wir hier in Deutschland gemacht haben, dann schau mal auf die Straße. Du siehst hunderte von Geschäften, die wir gegründet haben. Hunderte von Projekten in diesem Land, die wir gegründet haben. Beurteile die Leute nicht danach, wie sie aussehen, sondern nach ihren Taten.

Was würden Sie sich jetzt von der Gesellschaft wünschen?
Ich wünsche mir, dass wir alle mehr ins Gespräch kommen. dass wir uns auf Augenhöhe begegnen und nicht als Menschen dritter Klasse behandelt werden. Das ist, was ich mir wirklich wünsche. Jetzt bin ich 38, ich arbeite und ich studiere gleichzeitig. Und ich bin nicht der Einzige. Es gibt viele andere von uns, die engagieren sich in dieser Gesellschaft.
Sie haben seit 2025 auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Fühlen Sie sich auch als Deutscher?
Jein. Also, leider nicht wirklich. Denn immer bekomme ich diese Blicke: „Du bist kein Deutscher.“ Das ist klar, auch wenn es nicht laut ausgesprochen wird. Ich versuche immer, nicht darauf zu achten. Besser ist es auf der Arbeit: Wenn ich Azubis was beibringen kann, wenn ich Praktikanten was beibringen kann. Dann sehe ich das in deren Augen, dass ich eine Person bin, die es verdient, Staatsbürger zu sein. Dann weiß ich, dass sie auch sehen: Dass ich was getan habe, um in diesem Land zu bleiben.
Angela Merkel hat 2015 den Satz gesagt: „Wir schaffen das!“ Haben Sie es geschafft?
Auf jeden Fall. Angela Merkel hat für uns etwas gemacht, was die arabischen Länder nicht gemacht haben. Die haben die Grenzen geschlossen. Angela Merkel hat die Grenze nicht geschlossen. Was wir jetzt tun, ist sozusagen ein Dank an Angela Merkel. Sie hat uns diese Chance gegeben und wir haben sie sehr gut genutzt, damit wir am Ende sagen können: Ja, du hast etwas Gutes für uns getan.
Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!