
Am 5.September 2025 erinnerte Dortmund an ein prägendes Kapitel seiner jüngeren Stadtgeschichte: Die Aufnahme von Geflüchteten im Jahr 2015. Mit einer Filmpremiere, einer Podiumsdiskussion und anschließender Feier begingen ehemalige Helfer und ehemalige Geflüchtete den zehnte Jahrestag der Ankunft der ersten Züge mit Geflüchteten in Dietrich-Keuning-Haus. Das Haus wurde damals kurzfristig zur zentralen Anlaufstelle für tausende Menschen.
Kurzfilm erinnert an den damaligen Ausnahmezustand
Der Dokumentationsfilm vom Dietrich-Keuning-Haus zeigt Originalaufnahmen von den ersten Tagen, in denen sich das Dietrich-Keuning-Haus zu einer „Drehscheibe“ entwickelte. Hilfsorganisationen, die Feuerwehr, Polizei und unzählige Ehrenamtliche sorgten rund um die Uhr für Erstversorgungen, Orientierung und Unterbringung. Die damaligen Helfer gaben fünf Jahre später im Jahr 2020 Interviews dazu, wie sie die Zeit erlebten.

„Wir haben hier über sechs Wochen im 24-Stunden- Betrieb gearbeitet, oft ohne Schlaf, manchmal auf Matrazen im Büro“, erinnert sich Leven Arslan, Direktor des Dietrich-Keuning-Hauses. Die freiwilligen Helfer:innen mussten sich in dieser zeit selbst organisieren.
An jeder Ecke gab es was zu tun: Es wurden junge Frauen in den Koch-Dienst gestellt und andere sammelten die Kleiderspenden gegenüber vom Keuning-Haus in der Skatehalle, die nach kurzer Zeit komplett voll war. Eine Herasuforderung war, die Spenden vom Bahnhof überhaupt in das Keuning-Haus zu transportieren. Diese Aufgabe übernahm eine Menschenkette von Menschen, die spontan zum Bahnhof gekommen waren, um zu helfen.
„Was damals entstanden ist, die Netzwerke und das Vertrauen, ist bis heute Gold wert – nicht nur für die Flüchtlingsarbeit.“ Viele der damaligen Helfer:innen waren zwar ehrenamtlich vor Ort, aber ohne in einem Verein zu sein. Diese Solidarität zeige, dass man auf Dortmund stolz sein kann, waren sich die Teilnehmer der Podiumsdiskussion einig.
Ein Erfolg für Stadt und Gesellschaft
Auch Stadtdirektor Jörg Stüdemann blickte zurück: „Im September 2015 sind 9.000 Menschen in Dortmund angekommen, 500 bis 1.000 am Tag. Allein in der Erstaufnahme gingen 165.000 durch. Wir hatten Notunterkünfte in Zelten und Containern.

Das war eine Belastungsprobe für Haushalt und Strukturen. Und doch hat die Stadtgesllschaft Außergewöhnliches geleistet.“ Bis heute, glaubt er, sei das Dietrich-Keuning-Haus die einzige deutsche Kultureinrichtung, die in den New York Times porträtiert wurde. Die ganze Welt habe die Drehscheibe positiv aufgenommen.
Gleichzeitig betonte Stüdemann den nachhaltigen Wandel in der Stadt: „Vor 2015 lebten 200.000 Menschen mit Einwanderungsgeschichte in Dortmund, heute sind es 260.000.“ Durch den Zuwachs der vielen Menschen änderte sich auch die Zusammensetzung der Stadtbevölkerung. Wo früher noch über sinkende Geburtenrate gesprochen wurde, wurden nach 2015 Kitas ausgebaut. Es kamen so viele Kinder, dass das Durchschnittsalter in Dortmund drastisch sank.
Auch Oliver Nestler von der Feuerwehr blieb die Dimension der Herausfordung im Gedächtnis: „Um 10:55 Uhr war die Skaterhalle voll, um 11 Uhr standen 1.000 Menschen hier im Dietrich-Keuning-Haus. Am Nachmittag kamen noch einmal 650 mit dem nächsten Zug.“
Humanität muss auch im Jahr 2025 möglich sein
Journalist Christian Beisenherz sprach von einer „würdevollen Erfahrung“, warnte aber vor der aktuellen europäischen Flüchtlingspolitik: „Menschen werden an den Grenzen abgewiesen, als wären sie Ballast. Was Dortmund damals gezeigt hat, sollte Europa längst können.“

Fatma Karacakurtoglu und Jamil Ayou von Train of Hope erinnerten daran, dass Dortmund später sogar eine zweite Drehscheibe aufbaute, als 2022 Menschen aus der Ukraine vor dem Angriffskrieg flüchteten. „Diese Stadt hat ihre volle Solidarität gezeigt. Wir haben eine Wilkommenskultur gelebt, die bis heute wirkt“, sagt Karacakurtoglu. Ayou ergänzte: „Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Zivilgesellschaft gemeinsam Lösungen finden kann. Darauf dürfen wir stolz sein.“
Zum Abschluss schlugen die Redner:innen den Bogen in die Gegenwart. „Zusammenleben mit verschieden Kulturen funktioniert, wenn man es will“, so Oliver Nestler. Stüdemann formulierte einen klaren Antrag: „ Wir dürfen keine Angst haben Probleme gemeinschaftlich zu lösen. Und wir dürfen keine Nazis wählen, wenn wir unsere bunte Gesellschaft bewahren wollen.“
Eine Willkommens-Säule für Dortmund
Vor der Dietrich-Keuning-Halle enthüllte der SPD-Landtagsabgeordnete Volkan Baran eine Säule, die an die Geschichte als Zentrum für neu angekommene Menschen in Dortmund erinnert.

Helfer und Geflüchtete haben sie gemeinsam entworfen. Baran erinnerte sich daran, wie erschüttert sein sechsjähriger Sohn war, als er die ankommenden Menschen gemeinsam mit ihm gesehen hatte.
Er wollte seine eigenen Spielsachen an die Kinder verteilen. „Wir haben Menschen ohne Gesichtsausdruck gesehen, weil sie nicht wussten, was mit ihnen passiert“, so Baran. Die Säule solle eine Mahnung sein, dass man mit Menschen so umgeht, wie es Dortmund im Jahr 2015 getan hat – menschlich.