„Ich weiß gar nicht, wie ich das alles der Redaktion verkaufen soll?“ Neonazi hat Erfolg mit Klage gegen BILD-Zeitung

Nachdem sie bereits im Eilverfahren im Sommer 2019 eine einstweilige Verfügung erzielen konnten, wurde das Urteil heute im Hauptsacheverfahren bestätigt. Eine gütliche Einigung kam für beide Parteien nicht in Frage.

Von Sascha Fijneman und Alexander Völkel

Darf man den Rechtsrock-Sänger Marko G. von „Oidoxie“ eine Führungsfigur der inzwischen verbotenen Neonazi-Gruppierung „Combat 18“ und die „Oidoxie Streetfight Crew“ eine „C18-Zelle“ nennen, wie es die Bild-Zeitung in einem Bericht zum Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke getan hat? Nein, findet das Landgericht Dortmund. Das Gericht gibt damit auch im Hauptsacheverfahren dem klagenden Sänger Recht, nachdem sich der schlecht vorbereitete juristische Beistand des Axel-Springer-Verlags schon im Sommer 2019 beim Verfahren zur einstweiligen Verfügung eine Klatsche abgeholt hatte.

Auch im zweiten Versuch konnte der Verlag das Gericht nicht überzeugen

Gegen diesen „Beistellartikel“ der BILD wehrt sich Marco G. gerichtlich - vorerst mit Erfolg.
Gegen diesen „Beistellartikel“ der BILD-Zeitung richtet sich die Klage von Marco G.. Fotos: Alex Völkel

Nun hatte der Verlag erneut die Chance, Belege für seine Behauptungen beizubringen und damit die einstweilige Verfügung vom Tisch zu bekommen. Nachdem eine Güteverhandlung für beide Verfahrensparteien nicht in Frage kam, gab es nun das Hauptsacheverfahren im Fall des Dortmunder Neonazis am Landgericht Dortmund.

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Eine mutmaßliche – aber nicht offen ausgesprochene – Motivation für die Klage: Marco G. wollte verhindern, dass  seine Band „Oidoxie“ und die Streetfighting-Crew mit in das sich anbahnende Verbot von Combat 18 hineingezogen wird.

Im Sommer konnte er im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens einen Unterlassungsanspruch geltend machen. Nun sollte der Springer-Verlag in der Hauptsache seine Behauptungen untermauern.  Dazu legte der Verlag zumindest Teile der Recherchearbeit seiner Redaktion offen und nannte öffentlich zugängliche Quellen für die umstrittenen Behauptungen.

Das Ergebnis: viel Neues hatten Justiziarin Lissner und Anwalt Peter Scheibe zur Rechtfertigung im mündlichen Verfahren nicht vorzubringen, nachdem zumindest für das Hauptsacheverfahren ein umfangreicher Schriftsatz mit Belegen eingereicht worden war. Richterin Kothe Pawel bestätigte letztlich das Urteil des Eilverfahrens vom vergangenen Sommer.

Unterlassungsverfügung vom Sommer 2019 nun durch Hauptverfahren bestätigt

Der Dortmunder Rechtsrocker steht zu seiner Gesinnung, distanziert sich jedoch von Gewalt.

Im Juli 2019 hatte der Axel Springer Verlag eine einstweilige Verfügung einstecken müssen, die ihn zur Unterlassung zwang. Geklagt hatte Marko G., bekannter Neonazi aus Dortmund und Sänger der Rechtsrockband „Oidoxie“. 

Die Bild-Zeitung hatte in einem Bericht unter dem Titel „Das rechte Netzwerk“, welcher im Rahmen der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke das Umfeld des mutmaßlichen Täters Stefan E. beleuchten sollte, behauptet, der Dortmunder sei ein Führungsmitglied der Combat 18-Gruppierung, die erst kürzlich vom Innenministerium als dem Nationalsozialismus wesensverwandte, verfassungsfeindliche und gewaltbereite Gruppierung verboten worden war.

Außerdem wurde behauptet G. sei Gründungsmitglied der Oidoxie-Streetfighting-Crew, die im Umfeld seiner Bandaktivitäten entstand und habe als Führungskader maßgeblich an Planungen mitgewirkt, die Streetfighting-Crew in eine Combat 18-Kampfzelle zu wandeln.

Die Verlagsvertretung ist fassungslos über Interpretation der Richterin

Richterin Kothe-Pawel vor der Eröffnung.

Richterin Kothe-Pawel hatte sich bereits im Vorfeld der Verhandlung mit den eingereichten Dokumenten befasst. Letztlich gelangte sie zu dem Urteil, dass die Unterlassungsverfügung aufrecht zu erhalten sei. Sie interpretierte die Aussagen in den vorgelegten Quelltexten des Verlages anders als der Verlag selbst und stieß damit auf Unverständnis bei den Verlagsvertreter*innen.

„Wir haben hier alles vorgelegt. aber Sie picken sich hier einzelne Zitate heraus, die Sie anzweifeln“, warf Justiziarin Lissner der Richterin vor. Bei genauer Studie der Quelltexte werde offensichtlich, dass Marko G. eine extreme Nähe zu Combat 18 nachzuweisen sei. Dies ginge beispielsweise aus einem Sachverständigengutachten des parlamentarischen NSU-Untersuchungsausschusses unmissverständlich hervor.

Marko G.’s Band „Oidoxie“ sei allgemein für ihren direkten Combat 18-Bezug bekannt. Unter anderem hatte die Band Songs wie „Terrormachine Combat 18“ veröffentlicht, diese seit Jahren aber nicht mehr auf Konzerten gespielt. Man müsse sich ja nur einmal die Texte der Band vornehmen, um sich ein Bild über deren fragwürdige Inhalte zu machen. „Wie kann man da noch daran zweifeln, dass er als Führungskader aktiv in der Bewegung ist?“, fragte Lissner.

Justiziarin Lissner: „Ich weiß gar nicht, wie ich das alles der Redaktion verkaufen soll?“

Alle vorgelegten Quellen würden Marko G. als Combat 18-Repräsentanten benennen. Er selber trage eine Combat 18-Tätowierung, von der er sich schon beim Eilverfahren im Sommer letzten Jahres distanzierte und sie quasi als Jugendsünde bezeichnete, und sein exponiertes Auftreten in der Szene seien weitere Beweise für seine Zugehörigkeit.

Das Gebäude des Landgerichts in der Kaiserstrasse in Dortmund
Das Gebäude des Landgerichts in der Kaiserstraße in Dortmund. Foto: Leopold Achilles

Der Text des umstrittenen Artikels stelle Marko G. darüber hinaus nicht exponiert an den Pranger, sondern beleuchte das Umfeld um den mutmaßlichen Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. G. sei offen bekennender Neonazi, habe die Combat 18-Symbolik über sein Äußeres kommuniziert und das Gedankengut in Songtexten verbreitet, so dass die Justiziarin keinerlei Anlass für eine Persönlichkeitsrechtsverletzung sehen würde.

„Ich weiß gar nicht, wie ich das alles der Redaktion verkaufen soll?“ so Lissner konsterniert. Es handele sich bei den Quellen zum größten Teil um sogenannte privilegierte Quellen, die Inhalte seien vom Verfassungsschutz und öffentlichen Behörden übernommen worden, wodurch die Presse nicht in der Pflicht stünde alles auf seinen Wahrheitsgehalt nachzuprüfen.

Die Texte seien dem Parlament als unstrittig vorgelegt worden. Ihr Eindruck sei, dass Gericht und Verlag die Inhalte einfach anders interpretieren würden. „Repräsentant oder Führungskader – wo ist da der Unterschied?“, fragte Lissner die Richterin.

Erheblicher Unterschied zwischen den Bezeichnungen Sympathisant und Führungskader

Doch genau da war für Richterin Kothe-Pawel der Hund begraben. Es bestehe ein erheblicher Unterschied zwischen der Bezeichnung G.’s als als Sympathisant oder Mitglied der Combat 18 Bewegung oder, ob ihm eine organisatorische Führungsposition zugeschrieben würde.

Klägeranwalt Dr. Björn Clemens betonte den Unterschied zwischen Sypathiebekundung und organisatorischer Zugehörigkeit.

Auch Klägeranwalt Dr. Björn Clemens betonte, es gelte genauestens zwischen Sympathiebekundung und organisatorischer Zugehörigkeit zu unterscheiden. In einem Pressebericht seien hier unmissverständliche Formulierungen zwingend, jegliche Möglichkeit von Mehrdeutigkeiten würde zu Lasten des Verlages gehen.

„Mein Mandant bestreitet die ideologische Nähe nicht. Aber Gewalt kam für ihn noch nie in Betracht. Alle in diese Richtung gegen ihn angestrengten Verfahren haben bisher mit einem Freispruch geendet. Er ist immer gewaltfrei geblieben“, sagte Clemens. Bei einem Führungskader müsse man jedoch davon ausgehen, er habe Kenntnis über die der Gruppe unterstellten Straftaten gehabt oder diese seien gar von ihm veranlasst oder sogar verübt worden.

Marko G. äußerte sich am heutigen Verhandlungstag nicht mehr persönlich, hatte sich letzten Sommer mit der Äußerung „Zeiten ändern sich“ zum Teil von seiner Tätowierung und den Songtexten seiner Band zumindest öffentlich distanziert. Von Anfang an bestreitet er sowohl Combat 18-Führungskader gewesen zu sein, als auch geplant zu haben, die Oidoxie-Streetfighting-Crew als Kampfgruppe in die Bewegung zu integrieren.

Artikel verletzt Persönlichkeitsrechte und Sozialsphäre des Klägers

Kläger Marko G. vor dem Verhandlungssaal im Landgericht Dortmund im Gespräch mit anderen Neonazis.

Die Richterin machte deutlich, das der Name des Klägers besonders im NSU-Bericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses immer wieder auftauche, was Zeugnis von seiner guten Vernetzung bis ins europäische Ausland ablege.

Es sei nicht strittig, dass er der rechten Szene angehöre und seine Bandaktivitäten der Unterstützung dieser Szene dienen würden. Aber es gelte in diesem Fall abzuwägen zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Angeklagten und der Pressefreiheit.

Die in der Bild-Zeitung publizierten Inhalte würden die „Sozialsphäre“ des Angeklagten verletzen. Es sei in Anbetracht der Biografie des Klägers unstrittig, ihn als Mitglied der rechten Szene zu bezeichnen. Man könne jedoch nicht abschätzen, welche Auswirkungen es auf sein soziales Umfeld habe, wenn er als Führungskader einer gewaltbereiten Kampfgruppe gelte.

Dies impliziere, dass es innerhalb von Combat 18 eine Entscheidergruppe geben würde, in die G. eingebunden sei. Im Vorfeld des Verfahrens hatte sich Richterin Kothe-Pawel eingehend mit dem Combat 18-Verbot des Innenministeriums auseinandergesetzt. Dieses führt zur Begründung des Verbots an, dass „Combat 18“ rassistisch, antisemitisch und fremdenfeindlich ausgerichtet und „mit dem Nationalsozialismus wesensverwandt“ sei. „Combat“ steht für Kampfgruppe und „18“ für AH – Adolf Hitler.

Richterin wertet Bezeichnung „Führungskader“ als Meinungsäußerung, die Tatsachenbehauptung anstellt

In einer Pressemitteilung des Innenministeriums heißt es hierzu: „Die neonazistische Ausrichtung der Gruppierung manifestiert sich insbesondere durch den Vertrieb von Tonträgern mit rechtsextremistischer und antisemitischer Musik, die Organisation rechtsextremistischer Konzerte und den Verkauf von rechtsextremistischen Merchandise-Artikeln.“

„Da muss man klar sagen, dass diese Behauptung nicht heißt, dass der Kläger eine Führungskraft bei der Verbreitung von Tonträgern gewesen ist“, so die Richterin. Wenn man ihn nun aber als solchen darstellen würde, sei dies nicht nur eine Meinungsäußerung sondern beinhalte einen Tatsachenkern, der entweder wahr oder gut recherchiert sein müsse, denn Presse dürfe nicht nur sagen, was wahr ist, sondern basierend auf gründlicher Recherche auch Tatsachenermittlungen anstellen. In diesem Fall sei die Herleitung der Behauptung jedoch nicht nachzuvollziehen.

Auch die Quellenangabe des Verlages bezüglich des NSU-Untersuchungsausschusses interpretierte die Richterin anders. Zwar werde G. oft erwähnt, jedoch sei nirgends die Rede davon, dass er als Führungskader tätig gewesen sei. Die Vernetzung und Verstrickung in der rechte Szene seien vielen Sympathisant*innen von NSU und Combat 18 nachzuweisen.

Keine Hausdurchsuchungen bei Crew-Mitgliedern im Zuge des C18-Verbots

Im Zuge des C18-Verbots wurde die Wohnung des Klägers nicht durchsucht, was gegen eine Führungsposition in der Organisation spricht.

Es gebe im Bericht Hinweise darauf, dass es Bestrebungen gegeben habe, aus der Oidoxie-Streetfighting-Crew eine C18-Zelle zu gründen, mehr aber auch nicht. Die Crew soll ihre Aktivitäten demnach 2006 eingestellt haben. Außerdem habe nur ein Teil der Crew mit C18 sympathisiert. Der Staatsschutz habe ergebnislos gegen die Streetfighting-Crew ermittelt.

Es hätten sich zwar Anhaltspunkte für die Verbindungen zwischen Crew und C18 ergeben, aber es seien keine Crew- und Bandmitglieder aktiv bei Combat 18 tätig. Daher seien auch bei Marko G. und anderen Crew-Mitgliedern keine Hausdurchsuchungen im Zuge des C18-Verbots durchgeführt worden.

Justiziarin Lissner merkte an, dass über diese Entscheidung auch viel Kritik laut geworden sei, denn schließlich gebe es in den benannten Gruppierungen keine Mitgliedschaft oder formale Strukturen im eigentlichen Sinne. Die Verbindungen des Klägers seien durch die bereits genannten Quellen nachgewiesen und Marko G. gelte als Repräsentant von C18 in Deutschland.

Selbst wenn sich diese Aussage nicht explizit belegen ließe, könne man daher nicht von einer Persönlichkeitsrechtsverletzung sprechen. Richterin Kothe-Pawel belehrte sie in ihrem Urteilsspruch eines besseren. Die Bild-Zeitung wird verurteilt, die monierten Aussagen zu unterlassen. Bei Zuwiderhandlung wird ein Bußgeld in Höhe von bis zu 250.000 Euro fällig; zu vollziehen an den Geschäftsführern. Gegen das Urteil kann der Verlag noch Rechtsmittel einlegen.

 

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