Intrige als Parteiprinzip der AfD: „Causa Helferich“ endet mit einem tiefblauen Auge – aber ohne Ausschluss

Matthias Helferich (li.) und Heiner Garbe kandidieren für den Bundestag - Helferich auf einem aussichtsreichen Listenplatz.
Matthias Helferich (l.) und Heiner Garbe kandidieren für den Bundestag – Helferich auf einem aussichtsreichen Listenplatz.

Kommentierender Bericht von Rainer Roeser

Fast klang es ein wenig demütig, was Matthias Helferich zu sagen hatte, als das – aus seiner Sicht – Schlimmste überstanden war. „Die Bundesvorstandsmitglieder, die für ein PAV stimmten, werde ich zukünftig versuchen, von mir als Parteimitglied und Parlamentarier zu überzeugen“, erklärte der 32-jährige Dortmunder AfD-Ratsherr, der nach Lage der Dinge demnächst auch dem Bundestag angehören wird. Die Entscheidung jedes Vorstandsmitglieds werde von ihm respektiert, versicherte Helferich. Jenes „PAV“, ein Parteiausschlussverfahren, wäre für Helferich das Schlimmste gewesen. Bundessprecher Jörg Meuthen hatte ihn damit überziehen wollen. Doch nur fünf weitere Vorstandsmitglieder mochten dem Parteichef folgen. Acht lehnten einen Rauswurf hingegen ab. So kam Helferich mit einem tiefblauen Auge davon. Da kann einer, der gerne lautstark austeilt, mal kurz zum Stilmittel der Demut greifen.

Der Preis, den die AfD  für den Nicht-Ausschluss zahlen muss, ist freilich hoch

AfD-Bundestagskandidat Matthias Helferich hat sich in der Partei viele Feinde gemacht. Foto: Alex Völkel
AfD-Bundestagskandidat Matthias Helferich hat sich in der Partei viele Feinde gemacht. Fotos (3): Alex Völkel

Ausschlussverfahren hat es in der AfD schon bei weit geringeren Verfehlungen gegeben. Helferich weiß das und kann froh sein, dass es die Parteispitze bei einer weit milderen Sanktion beließ: Geht es nach der Mehrheit des Bundesvorstands, soll er sein Amt als AfD-Landesvize verlieren und zwei Jahre lang nicht mehr in Parteifunktionen gewählt werden können. Ob es so kommt, ist offen. Entscheiden muss in erster Instanz das Landesschiedsgericht der AfD.

Aber selbst, wenn es so käme, es wäre verschmerzbar für einen, der seine neue Machtbasis im Bundestag finden wird; der stets auf ein offenes Ohr seines Landeschefs Rüdiger Lucassen hoffen kann; der schließlich zahlreiche AfD-Funktionäre auf Kreisebene und vor allem den Nachwuchs von der „Jungen Alternative“ (JA) hinter sich weiß.

Der Preis, den die AfD  für den Nicht-Ausschluss – zumal so kurz vor der Bundestagswahl – zahlen muss, ist freilich hoch. Die sehr vielen Kandidaten und sehr wenigen Kandidatinnen der Partei müssen sich nun an den Infoständen fragen lassen, ob sie „das freundliche Gesicht des NS“ sind – wie sich Helferich in einem Chat bezeichnet hatte, oder doch eher das unfreundliche. Und die AfD muss begründen, warum sie mit jemandem auf einem aussichtsreichen Listenplatz zur Bundestagswahl antritt, der angekündigt hatte, bei einem Landeskongress der JA den „demokratischen Freisler“ geben zu wollen.

Bundesparteichef Jörg Meuthen ohne Mehrheit – der NRW-Landesvorstand zerrüttet

Beschädigt fühlen können sich auch die Parteispitzen auf Bundes- und Landesebene. In Berlin stand Meuthen erstmals in einer wichtigen Frage ohne Mehrheit im Vorstand da. Vier Mitglieder, auf die er sonst fest bauen konnte, gingen ihm von der Fahne: Beatrix von Storch wird nachgesagt, dass sie auf nordrhein-westfälische, von Lucassen organisierte Stimmen hoffe, wenn im Herbst ein neuer Fraktionsvorstand zu wählen ist.

Zwei andere müssten wohl selbst Sorge vor einem Ordnungsverfahren der Partei haben, wenn an ihre politische Biografie gar zu strenge Maßstäbe angelegt würden. Der vierte schaffte es nur auf die NRW-Landesliste, weil er Unterstützung aus Lucassens Lager erhielt. Sollte die Ära Meuthen im Herbst enden – wofür derzeit einiges spricht – war der Tag der Abstimmung über die „Causa Helferich“ eine entscheidende Etappe seines Abstiegs.

Mindestens so desolat ist die Situation des nordrhein-westfälischen Landesvorstands. Vor zwei Jahren gewählt, sollte er Einigkeit und Gemeinsamkeit ohne Vertreter des „Alt-Flügels“ symbolisieren. Doch längst hat er sich zerlegt in Mitglieder, die das Duo Lucassen/Helferich unterstützen, und deren Gegner. Zwei Vorstandsmitglieder haben sich bereits verabschiedet. Die eine, Petra Schneider, eine AfD-„Gemäßigte“, ging eher still und leise, der andere, der ehemalige Münsteraner Kreisvorsitzende Martin Schiller, mit Getöse.

 „Eine weitere Verpöbelung, eine weitere Radikalisierung der Partei wird stattfinden“

Die Kornblume hat er mittlerweile abgelegt. Archivfoto: Leopold Achilles
Die Kornblume hat er mittlerweile abgelegt. Archivfoto: Leopold Achilles

„Die tiefen Gräben innerhalb der Partei haben sich vertieft und die hoffnungslose Zerstrittenheit hat sich zudem verstärkt“, wusste Schiller zu berichten, ein paar Tage, nachdem er bei der Nominierung der NRW-Bundestagskandidaten durchgefallen war. Das „bürgerliche Lager“ spiele in der AfD nur noch eine untergeordnete Rolle, so Schiller. Den Delegierten des Landesparteitags im vorigen Mai attestierte er, sie seien „fast nur noch mit völkischen Themen, Zuwanderungskritik und überzogenen Maximalforderungen abzuholen“ gewesen. Und sein Blick auf die künftige Entwicklung der AfD? „Eine weitere Verpöbelung, eine weitere Radikalisierung der Partei wird stattfinden.“

Bis vor einem Vierteljahr hatten Lucassens Gegner noch eine 7:5-Mehrheit in dem Gremium. Daraus ist nun ein 5:5 geworden. Die Tonlage wird dadurch eher noch schärfer. Michael Schild – wie Helferich einer der stellvertretenden Landessprecher – attestiert seinem Vorsitzenden im Fall Helferich gar, Diskussionen verhindert und quasi bei der Mafia in die Lehre gegangen zu sein: „Das Gesetz der ‚Omertà‘, das der Sprecher in Verkennung der Tatsache, dass er einem Kollegialorgan vorsteht, befohlen hatte, wurde lange befolgt.“

Er habe eine „große Welle der Solidarität erfahren“ in der AfD, sagte Helferich hingegen unlängst in einem rechten Szenemedium. Seinen Amtskollegen Schild dürfte er nicht gemeint haben.

Der AfD-Politiker aus dem Nachbarkreis Unna sagt über Helferich: „Beim Tatbestand selbst haben wir es also – so meint es wohl der BuVo (Bundesvorstand, d. Red.) – mit einer Art zwar unpassenden, aber doch ,nur‘ überspitzt satirischen Angelegenheit zu tun, wenn sich jemand als ,freundliches Gesicht des NS‘ bezeichnet oder gar als ,demokratischer Freisler‘, der blaue Kornblumen züchtet, weil sie ihn so schön an die Tötung des kleinen austrofaschistischen Kanzlers Dollfuß erinnern. Wie gut nur, dass er nicht das ,unfreundliche Gesicht‘ sein wollte und wie gut nur, dass er sich als Jurist ein Vorbild aus der eigenen Profession gewählt hatte. Nicht auszudenken, wenn er Mediziner wäre und er den ,demokratischen Mengele‘ hätte geben wollen.“

Landes-Vize: Gegner werden mundtot gemacht

 Auch an zahlreichen Unterstützern Helferichs insbesondere unter jüngeren AfD-Mitgliedern lässt Schild kein gutes Haar. „Die ,Stürmung‘ von ihm gegenüber kritisch eingestellten Gruppen durch seine ergebene Jugend bei Telegram zum Beispiel erinnert an die chinesische Kulturrevolution, das Mundtotmachen des Gegners.“ Fast könnte man es für eine demokratische Besorgtheit halten, die aus solchen Worten spricht. Doch dann erinnert man sich an den Parteitag in Siegen, als sich Schild gegen Helferich bei der Vergabe aussichtsreicher Listenplätze mit 66 zu 300 Stimmen eine satte Abfuhr einhandelte. 

Man erinnert sich aber auch daran, wer die „Causa Helferich“ in Gang brachte. Der Aachener Stadtrat Markus Mohr war es, einer der Vorleute des „Flügels“ in NRW, der einst bei der wohl schlagzeilenträchtigsten Veranstaltung des extrem rechten Teils der AfD in Dresden im Vorprogramm von Björn Höcke auftreten durfte. Lange hatte dieser Teil der Partei auf Helferich gebaut. Aber der entschied sich – macht- und karrierebewusst schon damals – anders und suchte das Bündnis mit angeblich „Gemäßigten“ in der AfD.

Jahre später kramten vermeintliche „Parteifreunde“ vom rechteren Rand dann alte Chatverläufe hervor, an denen sich zuvor nie einer von ihnen gestoßen hatte. Der „Fall Helferich“: Nicht zuletzt ist es der Fall von Intrige in einer Partei, in der solche intriganten Manöver zur Grundausstattung – zur DNA gehören.

 

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  1. Vortrag und Diskussion über Demokratiefeindlichkeit: Die AfD – eine „konservative“ Partei? (PM AK ‚Christen gegen Rechtsextremismus‘)

    Vortrag und Diskussion über Demokratiefeindlichkeit: Die AfD – eine „konservative“ Partei?

    Im Rahmen seiner Veranstaltungsreihe ‚Demokratie stärken – Rechtspopulismus entgegentreten‘ lädt der Dortmunder Arbeitskreis ‚Christen gegen Rechtsextremismus‘ am Dienstag, 31. August um 18 Uhr zu einer Online-Veranstaltung ein. Der Titel des Vortrags mit anschließender Diskussion lautet: ‚Eine „konservative“ Partei? – Zur Demokratiefeindlichkeit der AfD‘. Referent ist der Sprecher des Arbeitskreises und Leiter des Referats für Gesellschaftliche Verantwortung im Evangelischen Kirchenkreis Dortmund, Pfarrer Friedrich Stiller.

    Schon im Jahr 2017 hatte der Synodalausschuss für Gesellschaftliche Verantwortung im Evangelischen Kirchenkreis Dortmund eine Orientierungshilfe erarbeitet, die Positionen und Vorgehensweisen der Partei ‚Alternative für Deutschland‘ einzuordnen half. Sie basierte auf einer eingehenden Analyse des Parteiprogramms und wurde kürzlich noch einmal überarbeitet.

    Im Vorfeld der Bundestagswahl schaut der aktuelle Vortrag auf den demokratischen Gehalt der Partei, die eine Alternative für Deutschland sein will. Sie behauptet von sich, konservativ zu sein, macht aber regelmäßig mit rechtsextremistischen Positionen und unsachlichen Provokationen von sich reden.

    Referent Stiller legt anhand einer Analyse des AfD-Programms dar, wofür die Partei genau steht, und zeigt, woran man ihre grundsätzlichen politischen Ziele und Strategien erkennen kann. Vor allem stellt er die Frage nach ihrem völkisch-nationalistischen Anteil.

    Die Teilnahme an der digitalen Veranstaltung ist kostenfrei. Anmeldungen sind noch bis zum Dienstagnachmittag, 15 Uhr über die E-Mail-Adresse rgv@ekkdo.de möglich. Wer sich mit seinen vollständigen Kontaktdaten angemeldet hat, erhält rechtzeitig vor der Veranstaltung einen ZOOM-Link zur Teilnahme.

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