12. Mai: Internationaler Tag der Pflege – „Zu viel Arbeit für zu wenig Leute“: Personalmangel bleibt nach wie vor ein Problem

Pflegekräfte bilden die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen. Sie fordern nun eine eigene Pflegeberufekammer. Foto: Klinikum DO
2020 gilt weltweit als Jahr der Pflege. Nach dem Motto „nursing the world to health“ hat die Krise die Systemrelevanz der Pflegeberufe unterstrichen. Trotzdem leidet der Pflegebereich zunehmend unter Personalmangel. Foto: Klinikum Do

Von Nora Lemjimer

Das Jahr 2020 gilt weltweit als Jahr der professionell Pflegenden und Hebammen. Welche Bedeutung diese Benennung mit sich tragen würde, hat das World Health Assembly am 24. Mai letzten Jahres wohl kaum wissen können – ein Jahr, das die grundlegende Wichtigkeit und Relevanz der professionellen Pflege in ein ganz anderes Licht rückt. Zum 200. Geburtstag der Krankenpflegerin und Reforamtorin des Gesundheitswesens, Florence Nightingale, soll verstärkt Augenmerk auf die momentane Situation der „Helden der Gegenwart“ in den verschiedenen Pflegeeinrichtungen gelegt werden.

Systemrelevanz der Pflege nicht zu leugnen – vor allem in Zeiten wie diesen 

Kaum ein Berufsfeld kann dem Bereich der Pflege in seiner grundlegenden Bedeutung und Relevanz das Wasser reichen: Pflege – herrührend von einfacher Nächstenliebe und dem menscheneigenen Bedürfnis, seinen Mitmenschen zu helfen – nimmt in dieser Zeit eine ganz andere Selbstverständlichkeit an. Mit dieser Selbstverständlichkeit geht die dem Beruf eigentlich gebührende Wertschätzung immer mehr verloren.

Interessante Einblicke in die Ausbildung, den Arbeitsalltag und die beruflichen Perspektiven von Pflegekräften bietet der 9. Berufsinformationstag zur Altenpflegeausbildung in Dortmund.
Bundesweit fehlen 162.000 Mitarbeiter*innen in Kliniken.

Die Krise und momentane Umstände verleihen Anlass, ein Umdenken im Gesundheitswesen einzuleiten, wie es Nightingale im vorletzten Jahrhundert schon tat. Die „Frau mit der Lampe“ modernisierte das Gesundheitswesen dahingehend, dass sie Einrichtungen hygienetauglich umgestaltete und das Gesundheitswesen von seinem verpönten, „schmutzig und gefährlichen“ Ruf stückweise zu lösen. Schon früher zog sich das Problem des Personalmangels wie ein Kaugummi durch den Pflegebereich.

Derzeitig wird das examinierte Personal in den ambulanten als auch stationären Diensten der Alten-, Behinderten- und Krankenpflege mehr gefordert und gebraucht denn je, für seinen Einsatz gelobt, bejubelt und vom Balkon aus beklatscht, aber eine wirklich handfeste Belohnung fehlt derzeit noch.

„Pflegebedürftige Menschen brauchen eine bedürfnisorientierte Pflege!“ – Personalmangel fördert gegenteilig

Das Bündnis für mehr Personal im Gesundheitswesen setzt sich am internationalen Tag der Pflege vor dem Klinikum Dortmund für bessere Arbeitsbedingungen ein, v.l.: Jochen Killing, Anne Schulze-Allen. Foto: Nora Lemjimer

Die Gewerkschaft ver.di ermittelt, dass mittlerweile in den Kliniken bundesweit 162.000 Mitarbeiter*innen fehlen. Auch in der Altenpflege herrsche Personalnot. Das Dortmunder „Bündnis für mehr Personal im Gesundheitswesen“ möchte diesen Personalnotstand hervorheben: „pflegebedürftige Menschen brauchen bedürfnisorientierte Pflege!“, erklärt Jochen Killing, Fachkrankenpfleger für Anaesthesie- und Intensivmedizin, Funktionspflegeleitung. Es gebe schlussendlich leider „zu viel Arbeit für zu wenig Leute“.

Bedürfnisorientiert könne man aber nur arbeiten, wenn der Pflegenotstand erfolgreich gemindert wird: angestelltes Personal arbeitet oft unter Zeitdruck, leistet Überstunden, weil die Dienstpläne nicht angepasst werden können und wird für den geleisteten Aufwand und die übernommene Verantwortung unangemessen bezahlt. Das habe nicht nur Konsequenzen für die Beschäftigten, sondern beeinträchtige auch die Qualität der Pflege und Patientenversorgung.

Die ständige Überbelastung mache einen solchen Beruf kaum noch kompatibel mit dem Privatleben und ende nicht selten mit einem „Burnout“, erklärt Hanfried Brenner, bildender Künstler, der der Meinung ist, dass das Wichtigste sei, der „untragbaren Personalsituation durch eine allgemeine bedarfsgerechte Personalbemessung entgegenzuwirken.“

Ein Gesetz fehlt, das Verhältnis von Pfleger*innen zu Patient*innen festlegt

Personal im Intensivbereich sei eigentlich dafür ausgebildet, die medizinische und pflegerische Versorgung zweier Patient*innen zu verantworten. Die Realität sieht da etwas anders aus: Das Intensivpersonal kümmere sich teilweise um bis zu vier Patient*innen gleichzeitig und die stationären Pfleger*innen beaufsichtigen bundesweit durchschnittlich 13 Patient*innen.

Klinikum Dortmund in der Innenstadt. Foto: Alex Völkel

„Dies kann man nicht als bedürfnisorientiert bezeichnen“, so Jochen Killing. Als viel angemessener empfindet er die Zuständigkeit einer Pflegekraft für vier bis fünf Patient*innen. „Dann wären auch die Arbeitsbedingungen besser.“

Das Bündnis fordert gute Lohn-, Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen, denn „nur so könne dem sich abzeichnenden Fachkräftemangel begegnet werden.“ Einsparungen im Gesundheitswesen sollen im Namen der Gesundheit nicht mehr gemacht werden, das Gesundheitswesen nicht aus Profitgründen vermarktet und Patient*innen durch die Abschaffung des DRG-Fallpauschalsystem angemessen behandelt und nicht aufgrund der fehlenden Lukrativität ihrer Behandlung abgewiesen werden.

Ein Prämiengeld als Zeichen des solidarisch gesellschaftlichen Dankes scheitert derzeitig noch in seiner Umsetzung. „Die Finanzierung des Pflegebonus in NRW ist weiterhin ungeklärt“, kritisiert Dr. Frank Johannes Hensel, Vorsitzender der LAG Freie Wohlfahrtspflege NRW und bemängelt, das sei „eine Enttäuschung zur Unzeit“. Dies sei ein Umstand, der in diesen Zeiten kaum zumutbar sei.

Corona-Prämie in Höhe von 1.500 Euro soll nicht nur Altenpfleger*innen zustehen

Der Haken dabei ist: die Zusatzleistung kann lediglich von Personal der Altenpflegeeinrichtungen in Anspruch genommen werden. „Diese Zusatzleistung sollte allen zu Gute kommen, die sich um die Pflege und Betreuung von hilfebedürftigen Menschen verdient machen – sowohl in den ambulanten als auch stationären Diensten der Alten-, Behinderten- und Wohnungslosenhilfe“, so Hensel.

Mit dem Juli-Gehalt sollen Vollzeitbeschäftigte dieser Branche eine Corona-Prämie von 1.500 Euro erhalten. Für Azubis ist eine Extra-Zahlung von 900 Euro geplant und Teilzeitbeschäftigte sollen entsprechend ihrer tatsächlich geleisteten Stunden einen Zuschuss erhalten.

Für eine Finanzierung eines Tarifvertrags eigne sich die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und die Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche. Die BVAP vertritt dabei mehrere hundert Unternehmen und Verbände, die Pflegeangebote leisten, wie den Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), die Arbeiterwohlfahrt (AWO), die Volkssolidarität und den Paritätischen Gesamtverband.

Bonus fasst das Problem nicht bei den Wurzeln: Pflegekräfte sollen dauerhaft besser bezahlt werden

Neben Fachwissen wird in der Altenpflege Sozialkompetenz benötigt.
Fachwissen wie Sozialkompetenz wollen angemessen entlohnt sein.

„Die Wohlfahrtsverbände fordern, dass die Prämie solidarisch finanziert und zeitnah ausgeschüttet wird.“ Auf Bundesebene wird vorgeschlagen, dass die Pflegekassen zwei Drittel der Kosten für die Pflege-Prämien übernehmen. Auf Landesebene sei die Finanzierung des letzten Drittels zu organisieren. Von der Landesregierung gebe es diesbezüglich aber noch kein konkretes Konzept. Das Gegenteil wäre für Betroffene wünschenswert.

Mit dem Ziel eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags solle diese Prämie allen Angestellten der gesamten Pflegebranche, nicht nur dem Personal der Altenpflege ausgezahlt werden, sagt Sylvia Bühler vom ver.di-Bundesvorstand. Forderung ist, dass das Bundesministerium dies in Einverständnis mit Vertreter*innen der Organisationen für Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen ermöglichen soll – laut Angaben eine ver.di-Sprechers könnte dies mehr als einer halben Millionen Beschäftigter zugute kommen.

Pflegekräfte aus egal welchem Sektor sollen dauerhaft besser bezahlt werden – da bringt auch ein einmaliger Bonus von 1.500 Euro nichts. Dabei ginge es um etwas grundlegenderes: eine Höherbewertung der Berufsfelder Pflege und Betreuung sei dringend notwendig. Das Problem ist, dass der Lohn den Aufwand leider nicht abdeckt. „Was wir brauchen, ist eine Pflegekommission, die der Weiterentwicklung der Pflegevergütung einen echten Schub verleiht.“, so Hensel.

 

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Reaktionen

  1. Aktion „Klagemauer“ für mehr Personal im Gesundheitswesen vor der Reinoldikirche (PM)

    Aktion „Klagemauer“ für mehr Personal im Gesundheitswesen vor der Reinoldikirche

    Eine „Klagemauer“ für mehr Personal in der Pflege vor der Reinoldikirche errichten am Samstag, den 11. Juli 2020 von 11.00 bis ca. 13.00 Uhr der ver.di Westfalen Fachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen gemeinsam mit dem Dortmunder Bündnis für mehr Personal im Gesundheitswesen.

    Die Corona-Pandemie hat es allen deutlich gezeigt: Die Beschäftigten in der Altenpflege und in den Krankenhäusern sind systemrelevant und müssen besser wertgeschätzt werden.
    Was viele nicht wissen, gearbeitet wird in diesen Bereichen bis hin zu körperlicher und psychischer Erschöpfung.
    Pflegekräfte sind signifikant häufiger und länger krank als Beschäftigte anderer Bereiche. Ihr Anteil an den psychischen Erkrankungen ist dreimal so hoch wie bei allen anderen Beschäftigten. Und trotzdem gehen sie oft „mit dem Kopf unterm Arm“ noch arbeiten, weil sie die Kolleg*innen nicht im Stich lassen wollen. Denn sie wissen, wenn sie sich krankmelden, bricht der Stationsalltag zusammen, so berichten Beschäftigte – ein Hamsterrad.
    Die Belastungssituation ist jetzt in der Coronazeit nochmal deutlich nach oben gegangen durch die Kontaktbeschränkungen zu den Angehörigen und der damit verbundenen Schließung der Türen/Häuser und den zusätzlichen Hygiene- und Registrierungsaufgaben.
    Wir fordern verlässliche Arbeitszeiten, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, eine gesetzliche Personalbemessung, die sich an den tatsächlichen Bedarfen orientiert, verpflichtend höhere Ausbildungszahlen und für alle eine weitaus bessere Bezahlung.
    Am unteren Ende der Bezahlung rangieren die Beschäftigen der privaten ambulanten Dienste und der privaten Betreiber von Seniorenheime.
    Die Gehälter liegen dort z.T. bei gleicher Qualifizierung und meist längeren Arbeitszeiten bei 1000 und mehr Euro brutto unter der Bezahlung der Beschäftigten bei z.B. AWO, Kirche oder Stadt.

    Wir werden am Samstag ab 11 Uhr vor der Reinoldikirche unsere „Klagemauer“ präsentieren – es besteht dort auch die Möglichkeit unter den vorgegebenen Abstandsregeln mit den Teilnehmer*innen der Aktion in Kontakt zu kommen.
    Wir werden zu fünft vor Ort sein- stellvertretend für über 15.000 Beschäftigte in Dortmunder Krankenhäusern oder Senioreneinrichtungen und ambulanten Pflegediensten.

  2. Frank Wohlgemuth

    Wir spüren es täglich wie schwer es geworden ist gute und zuverlässiges Personal zu finden! Da sollte man gezielt was dagegen unternehmen. Pflege kostet Geld und ohne qualifizierte Mitarbeiter wird es sehr Schwer!

    Liebe Grüße
    Frank

  3. Anja Butschkau: „Es darf uns nicht egal sein, was mit den Kolleginnen und Kollegen in der Pflege passiert“ (PM)

    In Deutschland arbeiten fünf Millionen Menschen dann, wenn alle anderen schlafen. Ohne die Arbeit in der Nacht würde unser gesellschaftlicher Alltag nicht funktionieren. Sie fällt dort an, wo Menschen in Not sind, man sich um andere kümmert, die Produktion nicht stillstehen darf, Sicherheit organisiert oder für alle der Start in den weiteren Tag vorbereitet wird – auch bei uns in Dortmund. Um mehr über diese wertvolle Arbeit zu erfahren, hat sich die SPD-Landtagsabgeordnete Anja Butschkau im AWO Seniorenzentrum Eving einen Eindruck, darüber verschafft.

    Die Abgeordnete begleitete die Altenpflegerinnen und Altenpfleger durch die Nachtschicht. „Ich bin noch ganz beeindruckt von den vielen Eindrücken und der großartigen Leistung der dort arbeitenden Kolleginnen und Kollegen. Trepp auf, Trepp ab ging es bei jedem Klingeln und auch vorher bei den Runden durch die Zimmer der Bewohner, um zu schauen, ob sie schon schliefen und ob alles okay war mit ihnen“, so Anja Butschkau.

    Der Job fordere einem viel ab – körperlich, geistig und auch seelisch. Durch den Fachkräftemangel in der Branche stiegen die Belastungen. Anja Butschkau: „Mir ist erneut vor Augen geführt worden, dass es uns nicht egal sein darf, was mit den Kolleginnen und Kollegen in der Pflege und den alten Menschen, die in den Seniorenheimen leben, passiert. Dass wir uns für bessere Rahmenbedingungen in der Pflege und für eine höhere Wertschätzung des dort tätigen Personals einsetzen müssen. Das bedeutet für mich neben der Entlastung jedes Einzelnen auch ein angemesseneres Gehalt.“

    Generell stellt die Arbeit in der Nacht Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor ganz spezielle Herausforderungen. Zum einen ist die Leistung bereits vollbracht, wenn alle anderen in der Bevölkerung mit ihrem Tag starten. Zum anderen bleibt nach der Nachtschicht am Tag wenig Zeit, um Schlaf nachzuholen, sich um die Familie zu kümmern oder das ganz normale Alltagsgeschäft unter einen Hut zu bekommen. Mangelnde Sichtbarkeit, fehlende Repräsentanz – so erhält die Nachtarbeit im gesellschaftlichen Miteinander nicht immer die Wertschätzung, die sie eigentlich verdient hätte.

    Die SPD in Nordrhein-Westfalen hat deshalb zum 23. März einen „Tag der Nachtarbeit“ ausgerufen und dafür Betriebe in ganz NRW besucht. Anja Butschkau hat gerne mitgemacht: „Uns geht es jetzt darum, diese wichtige Arbeit in der Nacht einmal selbst zu erfahren und den Kolleginnen und Kollegen im Betrieb zuzuhören, um auch damit neue Konzepte für die Arbeitswelt der Zukunft zu erarbeiten.“

    Was unterscheidet Nachtarbeit von der am Tag? Was ist schön daran? Und was ist unfair und müsste sich ändern? Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können ihre Ideen, Eindrücke und Antworten auf diese Fragen ab sofort online einreichen unter: http://www.nachtschicht.nrw.

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