Attacke auf farbigen Busfahrer: Nach Reue und Distanzierung kommt ein Neonazi trotz 14 Vorstrafen mit Bewährung davon

Staatsanwaltschaft Dortmund
Seine 15. Verurteilung kassierte ein 25-jähriger Neonazi für Volksverhetzung, Körperverletzung und Beleidigung.

Mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung für Volksverhetzung, fahrlässige Körperverletzung und tätlicher Beleidigung ist Marvin J. vor dem Amtsgericht in Dortmund glimpflich davongekommen. Der 25-Jährige ist einschlägig vorbestraft und hat bereits 14 Vorstrafen auf dem Konto. Doch vor Gericht machte er glaubhaft deutlich, dass er sich von der Dorstfelder Neonazi-Szene distanziert habe und auch seine Taten bereue. Er gestand zudem alle Vorwürfe – aktuell stand er wegen eines Vorfalls mit einem farbigen Nachtbusfahrer und einer couragierten Mitfahrerin vor Gericht – und entschuldigte sich bei seinen Opfern.

Hitlergruß gezeigt – farbigen Busfahrer beleidigt und bespuckt – Frau mit Schlagstock verletzt

Was war passiert? Am 16. Juni 2016 waren der Angeklagte und zwei weitere Neonazis nachts an der Wittener Straße in den Linienbus 465 eingestiegen. Dort machte der Angeklagte seine Begleiter auf den farbigen Busfahrer – er kommt gebürtig aus Mali – aufmerksam. Als dieser die drei Neonazis aufforderte, die Bierflaschen zu entsorgen – im Bus gilt Alkoholverbot – eskalierte die Situation. 

Der Angeklagte zeigte den Hitlergruß und beleidigte den Busfahrer u.a. als „Eselficker“ und „Scheiß-Nigger“. Ein weiblicher Fahrgast stellte sich schützend vor den Fahrer. Sie wurde von einem weiteren Neonazi – Steven F. – geohrfeigt. Marvin J. packte zudem einen silbernen Schlagstock aus und schlug dabei – wohl mehr versehentlich – der Frau aufs Bein. Dies wurde als fahrlässige Körperverletzung gewertet. 

Nun wollten weitere Fahrgäste dem Busfahrer und der Frau zu Hilfe kommen, wurden jedoch vom dritten Neonazi daran gehindert. Daraufhin verließen die Neonazis am S-Bahnhof Dorstfeld den Bus, beleidigten jedoch den Fahrer weiter und spuckten ihm ins Gesicht. 

Zwei weitere Neonazis wurden bereits zu Geld- und Bewährungsstrafen verurteilt

Mit der Besetzungsaktion in der Reinoldikirche gelang ihnen ein PR-Coup. Aber die Aktion hatten sie geklaut. Bild: Marcus Arndt
Auch an der Kirchturmsbesetzungsaktion hatte der Angeklagte teilgenommen. Archivbild: Marcus Arndt

Diese Taten wurden von der Videoüberwachung des Busses gefilmt. Zudem kannte eine junge Zeugin einen der Neonazis. Die beiden anderen Neonazis standen dafür bereits vor Gericht: Steven F. wurde in einem früheren Verfahren wegen seiner Handlungen bereits zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt, Michael H. zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu jeweils zehn Euro.

Bei Steven F. stehen noch weitere Verurteilungen zu Buche, die zu einer Gesamtstrafe gebündelt werden sollen. Auch Marvin J. ist kein unbeschriebenes Blatt. Neben seinen zahlreichen Vorstrafen sind gleich drei Verfahren offen – dazu gehört auch die sogenannte Kirchturmsbesetzung an der Reinoldikirche. In einem weiteren Fall hat er ebenfalls in einem Bus krakeelt. Diese Verfahren sind noch offen. 

Die nun verhandelte und abgeurteilte Tat erfolgte nur zwei Monate nach seiner Haftentlassung – noch unter Bewährung stehend. Art und Schwere der Vorwürfe hätten ausgereicht, ihn „als Bewährungsversager“ erneut hinter Gitter zu schicken, machten Richterin Johanna Breuer und Staatsanwältin Stefanie Gutsche-Krüger eindringlich deutlich. 

Der Angeklagte zeigt sich glaubhaft reumütig und will sich aus der Nazi-Szene lösen

Allerdings machte der 25-Jährige deutlich, dass er den eingeschlagenen Weg verlassen habe. „Zu dem Zeitpunkt war ich zwei Monate aus der Haft, habe vermehrt getrunken. In der falschen Gesellschaft kann ich recht rüde und rabiat werden“, räumte Marvin J. ein. „Ich bin gerade dabei, mich aus der rechten Szene zu lösen.“ 

Denn mittlerweile ist er Vater geworden und nimmt sich auch der Tochter der Lebensgefährtin an. Er bereute die Taten und entschuldigte sich vor Gericht bei den beiden Opfern des Vorfalls. Zudem räumte er alle Taten ein, selbst wenn er sich nicht mehr an alle Einzelheiten erinnern konnte.  

„Das Umdenken kam Mitte letzten Jahres. Ich versuche, meinen beiden Mädchen was Anständiges beizubringen. Nach der Geburt konnte ich den Weg nicht weitergehen“, berichtet er offen. „Dann hätte ich auch die Hebammen verächtlich machen müssen oder unsere russische und polnische Ärztin nicht an meine Frau lassen dürfen. Da fing das Umdenken an. Denn ich bin ihnen sehr dankbar.“

Früher habe er sich mit vielen Leute verkracht, die ihn kritisiert und Hilfe angeboten hätten. „Ich war beratungsresistent. Mittlerweile bin ich für jede Hilfe dankbar, damit ich mit meinen Mädels, meiner Frau ins Freibad gehen kann, ohne im T-Shirt oder mit der überklebten Tätowierung dort zu sitzen“, spielte der Angeklagte auf seine Nazi-Tätowierung an. 

Umfassendes Geständnis abgelegt und sich bei den Opfern entschuldigt

Der selbsterklärte Neonazi-Kiez in der Emscherstraße ist nicht nur der Polizei ein Dorn im Auge.
Seit dem vergangenen Jahr bewegt sich der Angeklagte nach eigener Aussage nicht mehr in Nazi-Kreisen.

Zu den anderen Angeklagten habe er schon teils seit mehr als einem Jahr keinen Kontakt. Andreas H. habe sich abgesetzt und distanziert. Auch zu Steven F. und anderen Akteuren habe er Schritt für Schritt den Kontakt abgebrochen. 

Die ZeugInnen mussten wegen des umfassenden Geständnisses nicht mehr aussagen. Dennoch entschuldigte sich der Angeklagte sowohl beim Busfahrer als auch der jungen Frau, die beherzt eingeschritten war, für die Taten und die Schmerzen, die er ihnen zugefügt habe. „Ich weiß, dass sie nur ihren Job gemacht haben. Es gab für mich keinen Grund, sie anzugehen. Es tut mir leid“, sagte er dem Busfahrer, der die Entschuldigung nachsichtig annahm. Auch bei der Zeugin entschuldigte er sich.

Gerade für sie fand Richterin Johanna Breuer lobende Worte: „Ich finde es super-mutig, dass sie sich als Frau vor drei Männer gestellt haben. Das hat mich sehr beeindruckt. Das möchte ich sagen.“ Für die junge Frau aber eine Selbstverständlichkeit: „Einen der Männer kannte ich und hatte vor dem keine Angst. Deswegen konnte ich dazwischen gehen.“

Weitere Verfahren sind anhängig und frühere Geldstrafen wurden nicht bezahlt

Ob Marvin J. – sowohl er bzw. sein Verteidiger Tobias Falk als auch die Staatsanwältin akzeptierten das neue Urteil – seinen neuen Weg in Freiheit weitergehen kann, bleibt allerdings offen. Denn die beiden weiteren Verfahren – ebenfalls aus dem Jahr 2016 – sind noch anhängig. 

Zudem sind auch aus den alten Fällen noch Auflagen offen. So konnte der Hartz-IV-Bezieher die verhängten Geldstrafen bisher nicht bezahlen – bisher hatte er nur zehn (!) Euro abgestottert. Er hatte unter anderem eine Verurteilung zu 40 Tagessätzen wegen Beleidigung und 90 Tagessätzen wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz (Gesamtstrafe 125 Tagessätze zu je zehn Euro) kassiert und nicht bezahlt. Diese sollen nun als Sozialstunden abgeleistet werden. 

„Ich will die lieber abarbeiten. Wenn man nichts zu tun hat, kommt man nur auf dumme Gedanken. Ich habe früher schon mal freiwillig bei der Tafel gearbeitet. Das hat mir Spaß gemacht“, berichtete er dem Gericht. Außerdem soll er Schmerzensgeld an den Busfahrer bezahlen – 50 Euro in zehn Raten zu fünf Euro. 

Mehr kann sich der 25-Jährige, der nach dem Realschulabschluss keine Ausbildung gemacht und teils wegen seiner Vorstrafen nie gearbeitet hat, zeitweise obdachlos war und sich nun auch finanziell um seine Familie kümmern muss, nicht leisten. Obwohl: Nie gearbeitet stimmt nicht: Er hatte drei Monate für eine Security-Firma (!) im Eventschutz-Bereich gearbeitet. Doch bezahlt wurde er dort nicht. Der Chef soll die Einkünfte unterschlagen und sich abgesetzt haben… –

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